Marbled Blue Vinyl

Sunday, April 23, 2006

The Cure - Pornography

The Cure - Pornography

(1982 / Fiction Records / 12" Vinyl)

Denkt man heute an The Cure, erinnert man sich häufig erstmal an Mainstream Superhits wie Boys don't cry, A Forest, Close to me oder Friday i'm in Love. Und die Tatsache, dass die Band von vielen nur als 80er Band wahr- und nicht besonders ernstgenommen wird, ist ja auch nicht zu leugnen. Robert Smith ist für die meisten eben nur der etwas dickliche, mit den komischen Haaren und dem verschmierten Lippenstift. Dass The Cure aber mal eine wirklich ernsthaft verstörende und innovative Band waren (wobei sie es meiner Meinung nach noch immer drauf haben), daran erinnern sich meist nur die Fans. Und um dieser Zeit mal Tribut zu sollen, wird sich meine erste Wunsch-Rezension mit Pornography, dem vierten Album der Band beschäftigen. Und tatsächlich: Wenn ein Cure-Album eine Rezension verdient hat, dann ist es nicht das häufig mehr geschätzte Disintegration oder das zweite Album 17 Seconds, sondern höchstens das Spätwerk Bloodflowers, aber im ganz besonderen eben die 82er LP Pornography. Beachten sollte man beim rezensieren auch, dass man nicht in die berüchtigten Timo-ismen verfällt (Eingeweihte wissen bescheid und greifen sich jetzt an den Kopf!) und sich in ekstatischen und leidenden Beschreibungen verliert. Aber tatsächlich ist das ein Album, dass ich schon lange mal rezensieren wollte, aber an das ich mich nie so richtig rangewagt habe (siehe auch: NYC Ghosts and Flowers, I'm wide awake it's morning, usw.). Ist halt so eine Platte, die man eine million Mal gehört hat, der man schon vor Jahren mental ein Denkmal gebaut hat.

1982 hätte Robert Smith wahrscheinlich nie gedacht, dass er genau 20 Jahre später mal im Berliner Tempodrom stehen würde und mit seiner Band (von deren Original Line-Up inzwischen nur noch er und Bassist Simon Gallup übrig waren) die "Dark Trilogy" bestehend aus Pornography, Disintegration und Bloodflowers spielen würde. Den Begriff und den angeblichen Zusammenhang zwischen den Platten hatte er sich zugegebenermaßen extra für dieses Konzert ausgedacht - der wahre Grund war wohl eher, dass man den Fans zum 25jährigen Bandjubiläum das geben wollte, was sie wollten. Denn war Bloodflowers eher eine (zu Unrecht!) etwas ungeliebte Herzensangelegenheit von Smith, sind Disintegration und Pornography seit jeher die Fan Favorites. Und hätte er sich 1982 vorstellen können, dass nur wenige Jahre später etliche Fans so aussehen wie er und sich zu den Klängen seines gerade entstehenden Albums in (immerhin ganz witzig anzusehenden) Grufti-Tänzen vor der Bühne winden? Um das Ganze mal etwas zu entzaubern: Smith und Gallup waren damals ziemliche Drogenfreaks (und das hört man auch auf dem Album), der damalige Drummer Laurence Tolhurst hatte zwei linke Hände (weswegen Gallup die meisten Patterns für Pornography einspielte bzw gleich die Drum-Machine rausholte und Tolhurst ans Keyboard verscheuchte, wo er nur ab und zu mal eine andere Taste drücken musste - und selbst das nur mit Smiths Hilfe). Unter den zahlreichen Geschichten die in Interviews mit Smith zum Albumjubiläum ans Licht kamen waren u.a. Schilderungen von schlechten Acid-Trips nach denen er sich am nächsten Morgen mit Zahnstochern durchbohrt wiederfand (!) - doch eigentlich erinnere man sich sowieso nicht mehr allzu gut. Auch war die Atmosphäre im Studio wohl nicht die beste - Gallup ging nach der Veröffentlichung erstmal eigene (wahrscheinlich nicht gerade gesunde) Wege und stieg erst 1985 zu Head on the Door-Zeiten wieder ein. Aber selbst wenn das Album themenmäßig einem apokalyptischen Manifest gleicht, hört man der Instrumentierung erfreulicherweise nicht an, wie um es die Band damals bestellt war. Der Vorgänger Faith war zwar schon nah am Trademark-Cure-Sound aber mit Pornography hatten sie es endlich: Smiths Geheul (das ist es nunmal gewissermaßen) war nie dramatischer, die Texte nie wieder so bildhaft und krank. Man wußte, dass man sich nur auf Gallups Basslines verlassen musste und einen Hit hatte. Wobei Hit natürlich relativ ist, denn eigentlich war das Album 1982 ein ziemlicher, fast unhörbarer Hammer. Der 1980er Hit A Forest klingelte noch in den Ohren und sogar Faith hatte noch 2 schnellere Tanzflächentracks zu bieten. Hier jedoch lautet die erste Textzeile "It doesn't matter if we all die", Smith, Gallup und Tolhurst blicken als bizarr verschwommene Gestalten vom Cover und die ganze Atmosphäre machte die Band zu...ja, den Paten der Gothic-Bewegung (und diese ganze Entwicklung in nur 4 Jahren seit der Veröffentlichung der ersten, noch deutlich auf der Punkwelle mitreitenden Single Killing an Arab!). Dass das Album aber trotzdem mehr ist als sein Mythos liegt an seinem tollen und tatsächlich einzigartigen, nie kopierten Sound, der sich im Vergleich zu den Vorgängern deutlich weiterentwickelt hat (so z.B. ein Cello in Cold, Sprach-Samples in Pornography, ...). Alles wirkt so zeitlos, keine Spur des typischen 80er Klangs, welcher viele Alben aus der Zeit so antiquiert klingen lässt.

Der Opener 100 Years ist bis heute ein unangreifbarer Klassiker - auch wenn man immer nocht nicht so genau weiß, worüber Smith da eigentlich gerade singt (mal Lyrics bei Google raussuchen!). Gleiches gilt für Hanging Garden - auch so ein Track dem man sofort anhört, dass er 100%ig intuitiv entstanden ist. Die Monotonie die Songs wie Siamese Twins zugrunde liegt, ist dann auch der Hauptträger des Sounds und lässt einen nicht selten an elektronische Musik denken. Ein besonderes Lob muss man Robert Smith wirklich mal für sein Gitarrenspiel machen. Er leistet hier zwar keine Höchstleistungen was die Spieltechnik angeht, trifft aber mit seinen minimalistischen, kaum verzerrten Licks immer den Nerv des Songs (siehe z.B. A Strange Day mit der charakteristischen Instrumental Bridge). Und Tracks wie Cold und das auch heute noch gern gespielte The Figurehead sind an Intensität eigentlich kaum zu überbieten. Der sample-beladene Titeltrack ist schließlich noch einmal die Bestätigung, dass The Cure gewissermaßen ihrer Zeit vorrauswaren und hier ein unglaubliches Klangbild zeichnen, dass entfernt sogar an Bands wie Boards of Canada erinnert - nur eben "etwas" düsterer. Nach einem solchen Brocken sah Smith seine Band schon am Ende und komponierte eher "zum Spaß" bzw. aus Trotz und vorallem um den Mythos Cure zu zerstören, unfehlbare Pop-Hits wie Let's go to Bed und The Lovecats, welche allesamt zu Singlehits für das ganz große Publikum wurden. Einen größeren Stilbruch hat es in der Musikwelt vielleicht nie gegeben - auch wenn natürlich auch diese Songs einen heftigen Sarkasmus durchschimmern ließen (man schaue sich nur mal die Videos an!). Als es vor ein paar Jahren offenbar "in" war sich als junge Band für The Cure zu begeistern und sogar ein "MTV Icon: The Cure" ausgestrahlt wurde (mit Ehrerbietungen von u.a. The Rapture, Hot Hot Heat, Blink 182, Deftones und Razorlight), wurde auch Pornography als wiederentdeckter Klassiker gefeiert und sogar mit einer, durchaus hörenswerten, CD-Reissue geehrt. Natürlich war dieser neue Ruhm nur von kurzer Dauer, Pornography wird aber vermutlich immer der ewige Klassiker der Band bleiben (auch für mich!).

Zur Vinyl-Rezension liegt mir mal wieder nur eine 2nd-Hand Ausgabe vor - eine mustergültige Vinyl-Neuauflage ist nie erschienen. Und natürlich ist es schön, dieses wahnsinnige Cover mal im Großformat vor sich zu haben. Irgendwelche zusätzlichen Informationen sucht man jedoch vergebens: auch das bedruckte Inner-Sleeve bildet lediglich die (absolut lesenswerten) Lyrics und ein weitere Bild dieser merkwürdigen Fotosession ab, die das ganze Album durchzieht. Also durchaus solide und sehenswert! Und die Platte muss man sowieso haben!

Rating - 10 / 10
Vinyl-Rating - 8 / 10

- CGV -

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