Marbled Blue Vinyl

Saturday, May 13, 2006

Radiohead - OK Computer

Radiohead - OK Computer

(1997 / Parlophone Records / 2 x 12" Vinyl)

Schon bevor ich meine ersten Zeilen hier schreibe weiß ich, dass ich diese Rezension in ein paar Wochen oder, wenns gut kommt, in ein paar Monaten wahrscheinlich schonwieder ganz schlimm finden werde. Denn erstens war es selten so schwer einem Album in einem Review gerecht zu werden und zweitens ist es absolut unmöglich auf alle nennenswerten und begeisternden Fakten dieses Albums einzugehen. Und wahrscheinlich habe ich in 6 Wochen wieder neue Aspekte an OK Computer entdeckt (wie eigentlich bei jedem neuen Hördurchgang) die ich für eigentlich absolut essentiell für eine Rezension halte, die aber hier noch unerwähnt sind. Und das wird ganz sicher passieren, denn der Sound ist so dermaßen opulent texturiert (aber nicht überladen!), dass es zwangsläufig schwierig wird, auch nach dem 250ten Durchlauf nicht noch neue Fassetten zu entdecken. Und auch wenn ich diesen Anspruch in meinem Blog ja nicht unbedingt habe, es wird mir extrem schwer fallen, bei OK Computer wenigstens ein bischen objektiv zu bleiben, denn dieses Album und in gleicher Weise auch sein Nachfolger Kid A waren für mich, besonders als Musiker, eigentlich die bisher größte Inspiration überhaupt. Ich habe in wochenlanger Kleinstarbeit versucht die Details des Jonny Greenwood-Gitarrensounds mit meinen Effektpedalen zu kopieren und habe Songs wie Paranoid Android oder Subterrenean Homesick Alien in ihrer Drei-Gitarren-Komposition und ihrer unglaublichen Präzession geradezu studiert! Die Platte steht wie ein gut gehüteter, oft bewunderter Schatz im Regal. Das Artwork begleitet mich in meinem Arbeitszimmer, sowie im Büro. Nach dieser LP musste ich Radiohead um jeden Preis live sehen und wäre bei beiden Konzerten (2003 in Berlin und Hamburg) am liebsten in die Waynes World-"Ich bin unwürdig!"-Pose verfallen. Ein Platz unter den ewigen Top 10 meiner Lieblingsplatten ist ihr seit Jahren garantiert und wird ihr wohl auch immer sicher sein. Was kann man jetzt noch sagen? Genug! Zumal man bei derartigen Klassikern ja wirklich oft nur noch sagt "Klassiker, den brauch ich gar nich mehr hören!" und sich niemand mehr so richtig an das Album als Gesamtwerk erinnert (meiner Meinung nach so passiert bei z.B. Dark Side of the Moon, The Queen is Dead, Nevermind und unzähligen anderen).

Wer immer noch behauptet, in den 90ern hat es keine gute Musik gegeben und wehmütig auf die 60er schaut, der hat OK Computer wohl verschlafen. Wobei das wohl kaum möglich ist, denn sofort nach dem Erscheinen überschlugen sich die Kritiker (zu Recht!) mit Lobpreisungen und Superlativen (bis heute!). Ein allumfassendes Meisterwerk sollte es sein, ein opulentes Konzeptalbum in der Tradition von Pink Floyd (naja...) und natürlich absolut unverzichtbar für "Music Lovers". Und gewissermaßen hatte doch jeder Recht mit seiner Ansicht, auch die, die OK Computer eine gewisse Entrücktheit und Weltfremdheit unterstellten oder die, denen das alles zu sehr ausgeschmückt war. Diese Leute wollten Radiohead wahrscheinlicher lieber als neue U2 sehen (Gott bewahre!) und hatten vermutlich mit einem milderen Nachfolger zu The Bends gerechnet. Dass die Platte trotzdem abhob ist einfach mal das erstaunliche Beispiel dafür, dass gute, auch komplexe und durchaus "schwierige" Musik, beim Mainstreampublikum ankommen kann. Produzent Nigel Goldrich, der das Album in einem einsamen, gespenstigen Herrenhaus aufnahm (buhuu!), wurde danach nicht nur für Radiohead zum Stammproduzenten, sondern auch für andere Künstler wie Beck, dessen Sea Change er veredelte, zum visionären Supervisor - wobei natürlich immer umstritten bleibt, wieviel ein Produzent nun wirklich zum Album beiträgt. Aber allein schon, die Band zu diesem Sound anzutreiben ist ein Verdienst für sich. OK Computer gilt seither als Blaupause für Bands wie Coldplay, Keane oder die neueren Modest Mouse, die aber nie wirklich den Kern treffen und vermutlich auch nie so brilliante Songs schreiben werden.

Die LP hat eine der besten A-Seiten, vielleicht sogar die beste A-Seite in meinem Plattenregal. Airbag ist als Opener in seiner Opulenz schonmal ein kleiner Reiz-Supergau und für mich eigentlich schon einer der besten Songs des Albums, obwohl er bei den Kritikern aus irgendeinem Grund immer untergeht. Dabei fällt die Band hier dermaßen von was ins Haus! Ein Jahrhundertriff, ein dramatischer Aufbau, allerhand Sirren und Summen, eine ganz tolle Gesangsmelodie, 3 Gitarren, man hört jedes einzelne Instrument. Dann auf einmal ein Break...Scratches! Nur ein paar, aber nichtmal unpassend. Die Greenwoods spielen sich um ihr Leben. Man hört wirklich die Arbeit die hier drin steckt, der Wille zum Innovativen, aber nicht unbedingt gekünstelt sondern eben einfach gewollt! Sofort im Anschluss (getrennt durch ein Filmstreifen-4-3-2-1-Klickern) dann Paranoid Android (der Titel ist ein Tribut an Marvin den suizidalen Roboter aus The Hitchhikers Guide to Galaxy - i may be paranoid, but not an android)- ein absoluter Publikumsfavorit und gleichzeitig die erste Single des Albums! Aber wieso denn Single? Ein derartiger Brocken von einem Song! Manische Piepsstimme in der Strophe, ein wahnsinniger Break, ein gregoranischer Chor hinter Yorkes apokalyptischen Zeilen im Schlussteil. Nachgewießenermaßen waren das hier mal 3 einzelne Songs, zusammengefügt zu einem Ganzen. Aber nicht patchworkmäßig! Man hat das Gefühl in diesen über 6 Minuten ist alles am richtigen Platz. Wenn es sich eine Band leisten kann derartig geniale Riffs wie das Anfangsriff des Mittelstücks gerade mal für ein paar Sekunden zu benutzen, wobei andere Bands daraus ganze Songs machen würden, womit ist dann bei ihnen eigentlich nicht zu rechnen? Subterrenean Homesick Blues ist dann etwas zurückgelehnter aber nicht weniger spektakulär. Die Leadgitarre klingt ziemlich nach einem Keyboard, wird aber eigentlich nur durch einen heftigen Flanger verstärkt. Und wenn Greenwood am Ende der 2ten Strophe nochmal fuzzverzerrt zurückschlägt und sich trotzdem irgendwie im Hintergrund hält, brauch er mir überhaupt nichts mehr zu beweisen (macht er natürlich trotzdem noch im Verlauf des Albums!). Jetzt kann man entweder die ersten 3 Songs noch 5 mal hören damit man ansatzweise diese Schönheit begreifen kann (manmanman bin ich heute pathetisch ;-), oder man dreht auf Seite B und wird von einer leisen Akustikgitarre begrüßt - Exit Music (for a Film). Noch so ein absolut brillianter Song und Klassiker der sich langsam steigert und am Ende klingt wie ein schlimmes Märchen. Laut Yorke damals der erste Song mit dem er zu 100% glücklich war. Let Down und Karma Police sind nochmal zwei Musterbeispiele dafür, dass Radiohead hier ganz und gar kein politisches Album geschrieben haben das ihnen ja gelegentlich unterstellt wird, sondern nur einen sehr sehr schrägen und zynischen Blick auf die Gesellschaft und deren Zukunft haben. Die Karma Police soll dann wohl auch ein Tribut an Orwells 1984 sein (schlussfolgere ich jetzt mal so - this is what you get when you mess with us). Und wieder ist es ein Rätsel wie so ein Song in die Charts kommt. Zwar eine durchaus schöne Melodie, aber durch seine trocken hackenden Drums so dermaßen ruppig produziert, dass es eben eigentlich nicht zum Hit taugt. Und dann auch noch das Wort Hitler im Text! (- auch zu empfehlen: das undurchschaubare Video, zu finden auf der DVD 7 Television Commericals). Seite C fängt beginnt mit der fast schon zu offensichtlichen Gesellschaftskritik Fitter Happier. Vor einer verstolperten Pianomelodie spricht eine Computerstimme ein paar Zeilen (now self-employed, concerned (but powerless), an empowered and informed member of society (pragmatism not idealism), will not cry in public...). Der Track sorgte für Gerüchte, Radiohead würden darauf mit Stephen Hawkin zusammenarbeiten (ah...haha!) und ist laut Kritikermeinung der verzichtbarste Track auf OK Computer. Die Band sieht das wohl anders. Das darauffolgende Electioneering ist für Jonny Greenwood schon eher der Dunkelpunkt ("It's just guitar noise...") den er vom Album tilgen würde. Und Noise ist es tatsächlich. Zusammen mit dem 9ten Track, dem düsteren Climbing up the Walls, ist es wohl der, naja, anstrengendste Track auf dem Album. Aber ich würde im Gegensatz zu Greenwood gar nichts an dem Album ändern! Es ist perfekt so wie es ist. Und diese beiden Tracks sind einfach wundervoll. Wenn auch wundervoll krank, schräg, laut, herrausfordernd. Danach brauch man erstmal eine Pause. Und hier fällt einem auf wie perfekt das Album dramatisiert ist, denn Seite D ist richtiggehend leise! Die zuckersüße Xylophon-Melodie vom superben aber textlich nicht besonders zimperlichen No Surprises (a job that slowly kills you) hängt einem noch in den Ohren wenn Lucky das erste und einzige mal auf dem Album zur ganz großen Geste ausholt (U2 hätten an dieser Stelle des Albums schon 54 mal gezeigt was für gute Christen sie sind)...und es völlig passend ist! Ganz toller Song! Und zum abschließenden The Tourist muss man einfach noch mal die Entstehungsgeschichte erzählen. Die Legende sagt, dass Jonny Greenwood den Song allein an einem Nachmittag in Paris, als er die Touristen dabei beobachtete, wie sie ohne einen ruhenden Blick auf die Sehenswürdigkeiten durch die Stadt hetzten (hey man, slow down!) schrieb. Und dementsprechend klingt hier alles furchtbar romantisch und verschlafen. Der reduzierteste Song des Albums und auch einer der Schönsten. Tja was soll ich jetzt noch sagen? Man kommt sich ja fast schon wie ein kleines Schulmädchen vor, das Album so in den Himmel zu loben, aber was will man machen? So, und jetzt anhören bitte!

Ach halt, noch der obligatorische Vinyl-Bewertungs-Absatz! Ja ich könnte jetzt nochmal ganz viel schreiben über eines der schönsten Covers und Artworks (wieder produced by Stanley Donwood und Thom Yorke) überhaupt. Über die Inner-Sleeves auf denen man jedes noch so kleine Detail analysieren könnte. Das Klappcover in dem sogar die Textanordnungen Rätsel aufgeben (der Airbag-Text als Panzer formatiert?! Oder täuscht man sich da nur?). Die perfekte Anordnung von jeweils 3 Songs auf allen Seiten. Die seltsame Erhabenheit die dieses simple Stück Pappe und Vinyl ausstrahlt! Und ihr ahnt es schon...

Rating - 10 / 10
Vinyl-Rating - 10 / 10

- CGV -

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