Marbled Blue Vinyl

Sunday, April 23, 2006

The Cure - Pornography

The Cure - Pornography

(1982 / Fiction Records / 12" Vinyl)

Denkt man heute an The Cure, erinnert man sich häufig erstmal an Mainstream Superhits wie Boys don't cry, A Forest, Close to me oder Friday i'm in Love. Und die Tatsache, dass die Band von vielen nur als 80er Band wahr- und nicht besonders ernstgenommen wird, ist ja auch nicht zu leugnen. Robert Smith ist für die meisten eben nur der etwas dickliche, mit den komischen Haaren und dem verschmierten Lippenstift. Dass The Cure aber mal eine wirklich ernsthaft verstörende und innovative Band waren (wobei sie es meiner Meinung nach noch immer drauf haben), daran erinnern sich meist nur die Fans. Und um dieser Zeit mal Tribut zu sollen, wird sich meine erste Wunsch-Rezension mit Pornography, dem vierten Album der Band beschäftigen. Und tatsächlich: Wenn ein Cure-Album eine Rezension verdient hat, dann ist es nicht das häufig mehr geschätzte Disintegration oder das zweite Album 17 Seconds, sondern höchstens das Spätwerk Bloodflowers, aber im ganz besonderen eben die 82er LP Pornography. Beachten sollte man beim rezensieren auch, dass man nicht in die berüchtigten Timo-ismen verfällt (Eingeweihte wissen bescheid und greifen sich jetzt an den Kopf!) und sich in ekstatischen und leidenden Beschreibungen verliert. Aber tatsächlich ist das ein Album, dass ich schon lange mal rezensieren wollte, aber an das ich mich nie so richtig rangewagt habe (siehe auch: NYC Ghosts and Flowers, I'm wide awake it's morning, usw.). Ist halt so eine Platte, die man eine million Mal gehört hat, der man schon vor Jahren mental ein Denkmal gebaut hat.

1982 hätte Robert Smith wahrscheinlich nie gedacht, dass er genau 20 Jahre später mal im Berliner Tempodrom stehen würde und mit seiner Band (von deren Original Line-Up inzwischen nur noch er und Bassist Simon Gallup übrig waren) die "Dark Trilogy" bestehend aus Pornography, Disintegration und Bloodflowers spielen würde. Den Begriff und den angeblichen Zusammenhang zwischen den Platten hatte er sich zugegebenermaßen extra für dieses Konzert ausgedacht - der wahre Grund war wohl eher, dass man den Fans zum 25jährigen Bandjubiläum das geben wollte, was sie wollten. Denn war Bloodflowers eher eine (zu Unrecht!) etwas ungeliebte Herzensangelegenheit von Smith, sind Disintegration und Pornography seit jeher die Fan Favorites. Und hätte er sich 1982 vorstellen können, dass nur wenige Jahre später etliche Fans so aussehen wie er und sich zu den Klängen seines gerade entstehenden Albums in (immerhin ganz witzig anzusehenden) Grufti-Tänzen vor der Bühne winden? Um das Ganze mal etwas zu entzaubern: Smith und Gallup waren damals ziemliche Drogenfreaks (und das hört man auch auf dem Album), der damalige Drummer Laurence Tolhurst hatte zwei linke Hände (weswegen Gallup die meisten Patterns für Pornography einspielte bzw gleich die Drum-Machine rausholte und Tolhurst ans Keyboard verscheuchte, wo er nur ab und zu mal eine andere Taste drücken musste - und selbst das nur mit Smiths Hilfe). Unter den zahlreichen Geschichten die in Interviews mit Smith zum Albumjubiläum ans Licht kamen waren u.a. Schilderungen von schlechten Acid-Trips nach denen er sich am nächsten Morgen mit Zahnstochern durchbohrt wiederfand (!) - doch eigentlich erinnere man sich sowieso nicht mehr allzu gut. Auch war die Atmosphäre im Studio wohl nicht die beste - Gallup ging nach der Veröffentlichung erstmal eigene (wahrscheinlich nicht gerade gesunde) Wege und stieg erst 1985 zu Head on the Door-Zeiten wieder ein. Aber selbst wenn das Album themenmäßig einem apokalyptischen Manifest gleicht, hört man der Instrumentierung erfreulicherweise nicht an, wie um es die Band damals bestellt war. Der Vorgänger Faith war zwar schon nah am Trademark-Cure-Sound aber mit Pornography hatten sie es endlich: Smiths Geheul (das ist es nunmal gewissermaßen) war nie dramatischer, die Texte nie wieder so bildhaft und krank. Man wußte, dass man sich nur auf Gallups Basslines verlassen musste und einen Hit hatte. Wobei Hit natürlich relativ ist, denn eigentlich war das Album 1982 ein ziemlicher, fast unhörbarer Hammer. Der 1980er Hit A Forest klingelte noch in den Ohren und sogar Faith hatte noch 2 schnellere Tanzflächentracks zu bieten. Hier jedoch lautet die erste Textzeile "It doesn't matter if we all die", Smith, Gallup und Tolhurst blicken als bizarr verschwommene Gestalten vom Cover und die ganze Atmosphäre machte die Band zu...ja, den Paten der Gothic-Bewegung (und diese ganze Entwicklung in nur 4 Jahren seit der Veröffentlichung der ersten, noch deutlich auf der Punkwelle mitreitenden Single Killing an Arab!). Dass das Album aber trotzdem mehr ist als sein Mythos liegt an seinem tollen und tatsächlich einzigartigen, nie kopierten Sound, der sich im Vergleich zu den Vorgängern deutlich weiterentwickelt hat (so z.B. ein Cello in Cold, Sprach-Samples in Pornography, ...). Alles wirkt so zeitlos, keine Spur des typischen 80er Klangs, welcher viele Alben aus der Zeit so antiquiert klingen lässt.

Der Opener 100 Years ist bis heute ein unangreifbarer Klassiker - auch wenn man immer nocht nicht so genau weiß, worüber Smith da eigentlich gerade singt (mal Lyrics bei Google raussuchen!). Gleiches gilt für Hanging Garden - auch so ein Track dem man sofort anhört, dass er 100%ig intuitiv entstanden ist. Die Monotonie die Songs wie Siamese Twins zugrunde liegt, ist dann auch der Hauptträger des Sounds und lässt einen nicht selten an elektronische Musik denken. Ein besonderes Lob muss man Robert Smith wirklich mal für sein Gitarrenspiel machen. Er leistet hier zwar keine Höchstleistungen was die Spieltechnik angeht, trifft aber mit seinen minimalistischen, kaum verzerrten Licks immer den Nerv des Songs (siehe z.B. A Strange Day mit der charakteristischen Instrumental Bridge). Und Tracks wie Cold und das auch heute noch gern gespielte The Figurehead sind an Intensität eigentlich kaum zu überbieten. Der sample-beladene Titeltrack ist schließlich noch einmal die Bestätigung, dass The Cure gewissermaßen ihrer Zeit vorrauswaren und hier ein unglaubliches Klangbild zeichnen, dass entfernt sogar an Bands wie Boards of Canada erinnert - nur eben "etwas" düsterer. Nach einem solchen Brocken sah Smith seine Band schon am Ende und komponierte eher "zum Spaß" bzw. aus Trotz und vorallem um den Mythos Cure zu zerstören, unfehlbare Pop-Hits wie Let's go to Bed und The Lovecats, welche allesamt zu Singlehits für das ganz große Publikum wurden. Einen größeren Stilbruch hat es in der Musikwelt vielleicht nie gegeben - auch wenn natürlich auch diese Songs einen heftigen Sarkasmus durchschimmern ließen (man schaue sich nur mal die Videos an!). Als es vor ein paar Jahren offenbar "in" war sich als junge Band für The Cure zu begeistern und sogar ein "MTV Icon: The Cure" ausgestrahlt wurde (mit Ehrerbietungen von u.a. The Rapture, Hot Hot Heat, Blink 182, Deftones und Razorlight), wurde auch Pornography als wiederentdeckter Klassiker gefeiert und sogar mit einer, durchaus hörenswerten, CD-Reissue geehrt. Natürlich war dieser neue Ruhm nur von kurzer Dauer, Pornography wird aber vermutlich immer der ewige Klassiker der Band bleiben (auch für mich!).

Zur Vinyl-Rezension liegt mir mal wieder nur eine 2nd-Hand Ausgabe vor - eine mustergültige Vinyl-Neuauflage ist nie erschienen. Und natürlich ist es schön, dieses wahnsinnige Cover mal im Großformat vor sich zu haben. Irgendwelche zusätzlichen Informationen sucht man jedoch vergebens: auch das bedruckte Inner-Sleeve bildet lediglich die (absolut lesenswerten) Lyrics und ein weitere Bild dieser merkwürdigen Fotosession ab, die das ganze Album durchzieht. Also durchaus solide und sehenswert! Und die Platte muss man sowieso haben!

Rating - 10 / 10
Vinyl-Rating - 8 / 10

- CGV -

Thursday, April 20, 2006

Primal Scream - XTRMNTR

Primal Scream - XTRMNTR

(2000 / Creation Records / 2 x 12" Vinyl)

Es gibt Bands, denen nimmt man einfach so gut wie gar nichts übel, die kommen ihr Leben lang mit allem durch und müssen sich für nichts rechtfertigen. The Fall z.B. haben seit 30 Jahren einen ähnlichen Sound, man muss die Unterschiede schon mit der Lupe suchen...aber man will doch auch gar keine andersklingende Fall-Platte, oder?! - weiter so Mark! Im Normalfall läuft es allerdings so: Nehmen wir mal an, eine Band steht kurz davor nach 2 relativ gleichförmigen Alben ihre dritte Platte zu veröffentlichen. Die Presse schreit nach Veränderung, nach Weiterentwicklung - die Fans wollen natürlich noch mehr Hits und müssen bei Laune gehalten werden (derzeit in dieser Situation: u.a. Interpol, Franz Ferdinand). Die Lösung dafür ist dann leider meistens die einfachste; "Naja, machen wir halt n bischen was elektronisches mit rein!". Und so darf man sich in Interviews später verteidigen: "Wir sind mit unserem dritten Album viel elektronischer geworden - ein mutiger Schritt!". Hm. Primal Scream hingegen ist eine Band, die sich nie davor gescheut hat, ihren ganzen Sound umzustülpen und auch nach todsicheren Hitalben das auszuprobieren, was niemand erwartet hätte. Und auch die Sache mit der Elektronik nehmen sie etwas ernster. Sie belassen es nicht dabei, ein paar niedliche Drum Patterns und das gelegentliche Puckern eines Synthies zwischen die Songs zu kleistern sondern schaffen es tatsächlich als eine der wenigen Bands überzeugend, Elektronik und Rock lückenlos zu verschmelzen.

Seit XTRMNTR sind Primal Scream nun auch noch zur Indie-Supergroup geworden: Mastermind Bobby Gillespie hat Anfang der 80er den Jesus and Mary Chain-Klassiker Psychocandy eingetrommelt, Bassist Mani brachte bereits die Stone Roses mit seinen Trademark-Basslicks in die Charts und Produzent/Livegitarrist Kevin Shield war Frontmann der vergötterten Noisetruppe My Bloody Valentine (die Creation Records mit ihrem letzten Album Loveless fast ruiniert hätten - umso ironischer, dass er jetzt quasi wieder da unter Vertrag steht!). Dass diese Band aber trotz diesem Line up und unzähliger Hits (besonders zu Screamedelica-Zeiten) niemand so richtig auf dem Schirm hat, liegt wohl vorallem an ihrer radikalen Einstellung. Gillespies politische Statements und sein ausufernder Drogenkonsum (derzeit ungefähr der Stil: zahnloser Ex-Junkie) taugen eben nicht für ein Image als Everybodys Darling. Die Verbindung all dieser Extreme, die Radikalität und die Kreativität der 3 erwähnten Mitglieder ist es, die XTRMNTR (sprich: Exterminator) schließlich ausmacht. Lange Zeit war es für mich das Album, welches man unter keinen Umständen in einem Rutsch durchhören kann. Das liegt natürlich erstmal an der unheimlichen Reizüberflutung die einen bei den ersten Durchgängen ereilt - überall fiept es, Tonnen von Noise und Sequenzern begraben den Gesang, meist spielen ein Live-Schlagzeug und eine Drummachine parrallel verschiedene Beats. Und wird im Opener Kill all Hippies (Hit!) noch kultiviert Schicht auf Schicht gelegt, fällt das folgene Accelerator mit der Tür ins Haus und ist einfach nur mal laut. Wieviele Gitarrenspuren da wohl übereinandergelegt wurden? Swastika Eyes (auf der deutschen Veröffentlichung: War Pigs...) wird zum siebenminütigen Acid-Rave und...zum Hit! Pills spielt mit Einflüssen von OldSchool-HipHop, mit Keep Your Dreams wirds etwas beschaulicher (später großartig kopiert auf ihrem nächsten Album Evil Heat als Space Blues #2). Die drei Fast-Instrumentals Shoot Speed Kill Light, Blood Money und MBV Arkestra (steht MBV eigentlich für My Bloody Valentine?) rauben einem schließlich gänzlich den Atem und machen klar, was hier eigentlich für unglaubliche Musiker und Komponisten am Werk sind (und natürlich wie gut Kevin Shields der Band tut!). XTRMNTR ist einfach ein unglaublich lautes und tanzbares, begeisterndes Werk. Und man muss es auch mal würdigen: Mani streut hier dermaßen simple aber griffige Basslines ein, die durchaus an seine Arbeiten mit den Stone Roses anknüpfen, und bereichert damit den Sound von Primal Scream unheimlich. Dieses pointierte Spielen ist einfach mal eine Klasse für sich - ganz toll! Einziger Wehrmutstropfen: Der Remix von Swastika Eyes der Chemical Brothers, der hätte einfach mal nicht sein müssen. Sie machen sich den Song zwar durchaus zu eigen, aber besonders erhellend ist das im Albumkontext nicht. Auch dass das tolle (wenn auch eher auf Give out but dont give up passende) I'm five years ahead of my time es nicht auf die UK-Version von XTRMNTR geschafft hat ist ein bischen schade. Das alles hindert mich aber nicht daran (schon wieder!) die Höchstwertung zu vergeben.

Das Album kommt im breiten Pappschuber, auf doppeltem schwarzen Vinyl und mit bedruckten Innersleeves. Da ich das Artwork zwar immer faszinierend aber nie besonders schön fand wirds leider nichts mit der Höchstwertung. Schön allerdings das Dylan-Zitat "They keep it all hid" (aus Subterrenean Homesick Blues), das sich zwischen einigen morseartigen Zeichen auf einem Sleeve versteckt. Naja man hat sich schon Mühe gegeben. Die Platte scheint überdies ziemlich rar zu sein - hab sie damals eher zufällig als Sammelanfänger auf einer Plattenbörse gefunden und sie als eines der ersten Schätzchen ins Regal gestellt. Naja ich würde sagen, hier verdient sich XTRMNTR schließlich...

Rating - 10 / 10
Vinyl-Rating - 7,5 / 10

- CGV -

Tuesday, April 18, 2006

Sonic Youth - Murray Street

Sonic Youth - Murray Street

(2002 / Geffen Records / 12" Vinyl)

Wenn es eine Band gibt die ich bis zum Erbrechen studiert und erforscht habe, bei der ich die Tracklist jeder limitierten Single herunterbeten könnte, und die tatsächlich am häufigsten in meiner Sammlung auftritt, dann ist es wohl Sonic Youth. Und einfach nur deswegen gibts hier auch schon die zweite Rezension von ihnen! Ein anderer Grund dafür ist, dass ich seit dem Erscheinen des Albums, der Murray Street-Periode, Fan bin. Dass der Besuch meines ersten (und leider bisher einzigen) Sonic Youth-Konzertes auf der Murray Street-Tour war. Und weil hier vom Cover bis zum letzten Ton bei Sympathie for the Strawberry alles durchtränkt ist von positiven Erinnerungen und Gedanken.

Die Metarmophose der Band vom nihilistischen Noise-Monster, über die hitfähigen "Grunge-Erfinder" (das stammt nicht von mir!) der Dirty-Ära, hin zur verschlafenen (gar nicht mal negativ gemeint) Jam-Band der heutigen Zeit über die Dauer von 25 Jahren war immer spannendund erstaunlich ausfallsfrei. Aber dass Sonic Youth gerade im Herbst ihrer Karriere (oder doch schon Winter? Hmm...nee, da kommen dann schon die Best of-Alben und Outtakesammlungen) noch ein paar besondere Juwelen veröffentlichen (eigentlich ist alles seit Washing Machine 1995 Gold wert), damit wahr wohl nicht zu rechnen. Aber man kann dennoch nicht leugnen, dass sie etwas gemütlicher geworden sind, altersweise fast. Am deutlichsten wurde das für mich bisher mit diesem Album. Dass ein Großteil der Songs von Thurston Moore auf der Akustikgitarre geschrieben wurden merkt man sofort, klingen die Opener doch wie elektrifizierte Folk Songs (und so sind sie natürlich angemessen überzeugend als echte Akustikversionen, mitgeschnitten in einer Bandsession des Radiosenders WERS - unbedingt mal suchen!). Das schönste an diesem Album ist jedoch seine Unbefangenheit, seine Mut zur kleinen versöhnlichen (The Empty Page) und zur großen umarmenden (Rain on Tin) Geste. Hier spielt eine Band die wirklich nichts mehr zu beweisen hat, die ihre kuschlige Ruhe im bandeigenen Studio/Bandmuseum gefunden hat (welches leider vor kurzem der Immobilienarmut in New York City zum Opfer fiel und geräumt werden musste - ironischerweise hatte das Studio sogar den, in unmittelbarer Nähe stattfinden, Terrorangriff am 11.9.01 überlebt!). Beweisen wollen sie uns aber trotzdem was. So wird Kim Gordon im finalen Sympathy for the Strawberry von der exalierten No-Wave-Lady zur stillen Märchenerzählerin - Thurston vom coolen, redseligen Sympathieträger zum Romancier an der kaum verzerrten Picking Gitarre. Nur Lee ist immer noch der notorische Trauerkloß der in Karen Revisited alle Weltschmerz-Register zieht - aber dafür lieben wir ihn ja! Schwierig wird es schon, die Beiträge des gerade eingestiegenen Jim O'Rourke auszumachen. Er spielt sich zwar um Kopf und Kragen, doch bei solch präzisen Gitarristen wie Renaldo und Moore es sind, ist es schwer aus dem Schatten zu treten. So bleibt er dabei was er am besten kann und macht den Splitpart von Karen durch seine bekannten, vorallem im Solowerk verwurzelten Ambient-Einschübe zum Ereignis ohne das ganze zum blanken Noise verkommen zu lassen. Also fassen wir es jetzt mal ganz respektlos zusammen: nach einem Indie-Superhit (The Empty Page), drei atemberaubenden, verhuscht jazzigen Mini-Sinfonien (Disconnection Notice, Rain on Tin(!), Radical Adults lick Godhead Style), einem überlangen Ambientschmachter (Karen Revisited), einem krächzenden Totalausfall (Plastic Sun) und dem wohlig-versöhnlichem Ende (Sympathy for the Strawberry) (das sind gerade mal 7 Tracks!) zeigen uns Sonic Youth wie man einen Klassiker bastelt und in Würde altert. Und um jetzt doch nochmal etwas Leidenschaft reinzubringen, preise ich einfach mal Rain on Tin. Es wird schwierig im Sonic Youth-Komos ein ähnlich brillantes Stück zu finden, dass so lyrisch und mitreissend wirkt. Und dabei meine ich keineswegs die Lyrics! So eine dermaßen perfekt durcharrangierte Großtat hat die Band nie wieder hingekriegt und allein schon deswegen verzeihe ich den Plastic Sun-Ausreisser und gebe dem Album die Höchstnote. Einfach so!

Und ich bin drauf und dran der Vinylausgabe auch nochmal die Höchstnote zu geben. Ein derart liebevoll gestaltetes Klappcover (für eine einzelne LP!) habe ich selten gesehen und Murray Street ist auch nach 4 Jahren noch eine der am meisten aus dem Regal geholten LPs - einfach um sich nochmal alles anzuschauen. Man kann bei der Betrachtung der wunderbaren Fotografien New York fast einatmen! Aber bevor ich jetzt zu pathetisch werde, vergeb ich einfach mal eine...hmm...10!

Rating - 10 / 10
Vinyl-Rating - 10 / 10

- CGV -

Tuesday, April 11, 2006

Elvis Costello - This Year's Model

Elvis Costello - This Year's Model

(1978 / Radar Records / 12" Vinyl)

Gilt Elvis Costello heute vorallem als schillernde Figur der frühen 80er-Jahre, hat er seine inspiriertesten und bejubeltsten Alben doch schon Ende der 70er aufgenommen - damit meine ich sein Debüt My Aim is true, den Nachfolger This Year's Model und seinen entgültigen Mainstreamdurchbruch Armed Forces (veröffentlicht im Jahresrythmus ab 1977). Wobei es schon etwas holprig wäre, spätere Glanztaten wie King of America oder Blood and Chocolate uninspiriert zu nennen. Aber einen Superklassiker wie This Year's Model zu toppen ist eigentlich fast ein Ding der Unmöglichkeit und, hier muss man den Kritikern recht geben, es ist auch wirklich Elvis' beste Platte. Was eigentlich einen ganz einfachen Grund hat: hier gibts NUR Hits!

No Action, The Beat, Pump it up, Hand in Hand, (i don't want to go to) Chelsea - alles Tracks die im kollektiven Gedächtnis hängen geblieben sind und zu seinen besten zählen. Hat man halt schonmal gehört vom Titel her. Hört man die Songs dann aber wirklich, wundert man sich erstmal über die Schroffheit trotz derer es die Songs in die Charts geschafft haben. Alles hat so einen eigenartig metallischen Klang und die Arrangements sind mehr als überschaubar. Aber das Album strahlt einfach eine komische Überlegenheit und Coolness aus. War man bei My aim is true schon verblüfft ob des selbstsicheren Auftretens und dem fast formvollendeten, ureigenen Stils des Debütanten, hat Costello sein Image als arschcoole Brillenschlange auf This Year's Model perfektioniert und liefert hier eine Vocal Performance ab, die wirklich sprachlos zurücklässt. Man muss schon ein Faible für diese ganz besondere Art zu singen haben, aber wenn er einen in Pump it up mit einem immer an der Grenze zur Selbstparodie pendelnden Wortschwall niedermäht, kann man schon einigermaßen beeindruckt sein. Hier hat er seinen Stil gefunden, von hier aus konnte er sich in den Folgejahren in alle Richtungen entwickeln. Zweites wichtiges Novum ist natürlich Costellos Backing Band, die Attractions. Auf dem Debüt spielte noch die zusammengewürfelte Truppe Clover (welche immerhin später zu Huey Lewis and the News wurde), doch hier hat man das Gefühl wirklich eine Band zu hören in der jeder gleichberechtigt ist. Das liegt natürlich an der ausgezeichneten instrumentalen Arbeit, hier greift jedes Rädchen, jeder Bassgroove sitzt, trifft auf punktgenaue Schlagzeugarbeit und die Orgel...ja die Orgel. Da sind wir auch schon beim Hauptproblem von This Year's Model. Das Album fällt ungefähr in die Entstehungsphase von verschiedenen Synthies und man wollte natürlich nicht hinterherhinken. Also fährt man bei einigen Songs statt eines stilvollen Pianos einen quietschigen Synthesizer auf. Und so gerät der Schlusspart von (I don't want to go to) Chelsea zum zehrenden Light my Fire (Album Version!!)-Georgel, lässt Living in Paradise in der Strophe leider etwas albern wirken (zum Glück ist es ansonsten eine so tolle Komposition! - auch wenn ich beim Titel irgendwie immer an den unsäglichen Phil Collins denken muss) und erweckt den Eindruck, im Hintergrund von Lipstick Vogue würde jemand Shinobi auf dem Game Boy spielen. Aber irgendwo macht das ja auch den besonderen Charakter des Albums aus und größtenteils ergänzt der Synthie ja auch perfekt! Und man muss ja auch irgendwo was zu meckern haben. Ein Track wie You belong to me, in seiner Simplizität und schieren Brillanz würde sowie selbst tonnenschwere Fehler rausreissen und der Platte eine Höchstwertung garantieren. Achja: so schön es auch ist, diesen Klassiker auf Vinyl zu besitzen, ich muss hier mal eine eindeutige Empfehlung für die Deluxe CD-Edition aussprechen. Jetzt mal ganz im Ernst, selten war eine der berühmten Deluxe Editions so ergiebig - nichtmal die Sonic Youth-Reissues waren so sinnvoll gefüllt. Nur so kann man heutzutage z.B. noch Radio, Radio hören, welches damals für den berühmten Fernseheklat bei Saturday Night Live sorgte, als Costello diesen Track statt das angekündigten, textlich milderen Less than Zero spielte. Auch mit an Bord, 3 unglaublich begeisternde Acoustic-Demos von Green Shirt, Big Boys (beide später als Full Band-Versionen auf Armed Forces) und Running out of Angels. Davon hätte man wirklich gern mehr gehört.

Nichtsdestotrotz hab ich ja hier die UK-Vinylausgabe (also nicht die verstümmelte US-Fassung) und die ist auch wirklich hübsch anzusehen. Ausgestattet mit schön bedrucktem Innencover und ordentlich klingend gepresst auf normalem, schwarzen Vinyl. Mein Exemplar hab ich als 2nd Hand Schnäppchen in Flensburg für 5 Euro erstanden. Also kleiner Tipp: erstmal von DEM hier Vinyl und Deluxe CD kaufen und dann nach weiteren Costello LP's bei Ebay fahnden bevor er irgendwann wieder in sein sollte - man könnte den ein oder anderen Volltreffer landen und ein paar Lieblingsplatten finden!

Rating - 9,5 / 10
Vinyl-Rating - 7,5 / 10

- CGV -

Bob Dylan - The Times they are a-changing

Bob Dylan - The Times they are a-changing

(1964 / Columbia Records / 12" Vinyl)

Wenn es je einen Preis für das "trockenste" Album aller Zeiten geben sollte, dann würde ihn The Times they are a-changing ganz sicher einheimsen. Trocken und Ernst. Mindestens so ernst wie Bobs Blick auf dem Cover. Kein Schimmern der ätzenden Ironie, welche er auf seinen späteren Alben entdeckt und so puristisch arrangiert und instrumentiert wie irgendwie möglich. Der Stempel "Protestsänger" den er sich mit seinen Auftritten, seinem vorhergehenden, zweiten Album The Freewheelin' Bob Dylan und vorallem mit dem obligatorischen Blowing in the Wind eingebracht hat, trifft hier noch vollends zu. Das Album war binnen 6 Tagen eingespielt, was für Dylan damals eine relativ lange Zeit war (der Nachfolger Another Side of Bob Dylan entstand später 1964 in einer Nacht). Er war ja auch unabhängig, musste noch keine Band koordinieren. Demzufolge gibts auf dieser LP auch wirklich 100% Dylan - Stimme, Akustikgitarre und Mundharmonika. Auf einem der Outtakes der Sessions gibt es (veröffentlicht auf The Bootleg Series vol. 2) ein minimalistisches Piano in Paths of Victory zu hören - der einzige instrumentale Ausreisser aus diesem kargen Schema.

Im Titeltrack klampft sich Dylan durch den gefühlten Nachfolger von Blowing in the Wind - kein anderer Song dieses Albums wurde ähnlich populär und geht so plakativ ("plakativ" natürlich in Dylan-Maßstäben) an die Sache ran. Außerdem ist er der einzige, in dem er so etwas wie Gesang einbringt. Der Ear-Catcher des Albums sozusagen. Song Nr. 2 Ballad of Hollis Brown erzählt dann schon direkter die Geschichte einer verarmten Familie, deren Oberhaupt (Hollis Brown - ein ausnamsweise fiktiver Charakter) sein letztes Geld schließlich für 7 Schrotkugeln ausgibt. Schluck. Es gibt dann zwar auch weniger politische bzw. sozialkritische Songs auf der LP wie bspw. One too many Mornings, doch diese tonnenschwere Ernsthaftigkeit ist ständig präsent. Einige Kritiker bezeichneten es als geradezu "depremierendes Werk, welches man nur in kleineren Dosen zu sich nehmen sollte". Insgesamt könnte man über die musikalische Qualität sagen, dass sich für das nebenherhörende Ohr alles ziemlich ähnlich anhört. Bei Boots of Spanish Leather verwendet Dylan sogar dieselbe Melodie wie beim, nur 1 Jahr zuvor auf The Freewheelin' Bob Dylan erschienenen Hit (!) Girl from North Country. Er bedient sich bei jedem Song (außer eben bei Times they are a-changing) einer beiläufigen Art des Storytellings, trifft aber textlich immer den Punkt. Seine Gitarre spielt ständig neben der Stimme. Und für heutige Verhältnisse ist es ziemlich unglaublich, dass sich auf der ganzen Platte kein einziger Schlagzeugtakt befindet. Doch diese kühle Strenge und Kargheit in Verbindung mit den anklagenden Texten hat irgendwie auch seinen besonderen Reiz. Ausgestattet mit einem atemberaubenden Reimschema immer eine Spur neben dem Takt - Only a Pawn in their Game - auch so ein Texthammer, vorallem wenn man die Zusammenhänge dieser Geschichte über den ermordeten Bürgerrechtler Medgar Evers kennt (Wikipedia!). Überhaupt sollte man schon einiges Verständnis für die Ängste und Nöte dieser Zeit haben um zu begreifen, welche Sprengkraft eine solche Platte damals hatte. Dass ein Song wie With God on your Side, welcher von den waffengewaltigen Missionierungskriegen der USA im Zeichen des Glaubens handelt (gerade tobte der Vietnamkrieg), heute noch so aktuell ist wie damals, sagt schon einiges aus. Nur war es damals nicht nur ein kurzlebiger Modetrend, sich als Musiker gegen die Regierung zu äußern. Es sollte die letzte LP werden auf der Dylan mit derartig erhobenem Zeigefinger von sich weg (in alle möglichen Richtungen!) zeigt. Und wahrscheinlich auch die letzte, die die Folkies, die eingeschworene Protestgemeinde, zu 100% zufriedenstellen konnte.

Mit meiner Ausgabe des Vinyls habe ich so meine Probleme. Ich besitze leider nur die Reissue der Platte von vor ein paar Jahren und genau da liegt das Problem. Klanglich kann ich eigentlich nicht meckern - ich bin auch nicht ein solcher Purist, der unbedingt eine originale Mono-Ausgabe haben muss. Nur wenn auf dem Backcover die berühmten 11 Outlined Epitaphes (ein paar Gedichte von Bob) abgedruckt werden mit dem Vermerk "continued on insert", es aber kein Insert gibt...dann ist das bei einem solchen Klassiker schon ein ziemliches Manko. Das hübsche Hochglanzcover und die solide Aufmachung besänftigen mich dann zwar schon ein bischen, aber insgesamt hätte man sich da schon etwas mehr Mühe geben können.

Rating - 9 / 10
Vinyl-Rating - 5 / 10

- CGV -

Wednesday, April 05, 2006

Two Gallants - Las Cruces Jail

Two Gallants - Las Cruces Jail

(2006 / Saddle Creek / 7" Vinyl)

Nach Langem mal wieder eine Huldigung meines Lieblingsformates - der 7" Single! Und wenn in diesem Jahr nichts wesentliches mehr dazwischen kommt haben wir hier den sicheren Platz 2 meiner Jahressinglecharts für 2006! Die Aufnahme stammt zwar bereits aus dem letzten Jahr aber wir gehen hier ja wohl nach dem Erscheinungsdatum (das gilt übrigens auch für 29 von Ryan Adams (VÖ am 6.1.06) wenn ich es denn tatsächlich irgendwann zu hören bekommen sollte und für gut befinde!). Wir wollen uns ja mal nicht so anpieschen! Und auch wenn eine gewisse Grundskepsis gegenüber aktuellen Hypes durchaus wichtig ist, darf man hier offenbar unbedenklich in die Lobchöre einstimmen. "Offenbar", weil ich wirklich nur diese Single kenne, aber schon derart begeistert bin, dass ich einfach selber einen kleinen CGV-Hype starten werde ;-) .

Kommen wir mal zum Wesentlichen. Im Sinne der Two Gallants müsste ich die Rezension ihrer Single Las Cruces Jail eigentlich kurz mit einem "sehr gut" und keinen weiteren Erklärungen abfertigen, denn der Sound dieser Band wirkt tatsächlich so naturbelassen und eben "wesentlich" wie der Blick aufs Cover und die Erwartungen an eine neue Saddle Creek-Veröffentlichung erahnen lassen. Und wenn ich soeben schonwieder diesen Labelnamen niederschreibe wird mir bewußt, dass ich Saddle Creek gewissermaßen ziemlich hype. Aber was will man machen wenn diese Typen seit Jahren hochklassige Veröffentlichungen am Fließband rausbringen, dabei einige Meisterwerke produzieren (I'm wide awake it's morning, Album of the Year) und nur ganz ganz selten mal danebengreifen (Mayday)? Jedenfalls sind die Two Gallants mal wieder ein sehr lohnendes Signing. Faktenmäßig gibts auch nicht wirklich viel zu berichten. Erwießenermaßen gibt es inzwischen zwei Alben (The Throes, What the toll tells) die ich beide noch nicht gehört hab. Gerüchteweise haben sie sich nach einer Geschichte aus James Joyce' Dubliners benannt. Und (leider ebenfalls erwießen) hat eines der beiden Bandmitglieder einen unglaublich...unglaublichen Schnurrbart im Gesicht hängen (über die grasierende Schnurrbartseuche bei aktuellen Indiebands gibts garantiert auch bald einen Blog-Beitrag - was ist mit denen los?).

Da ich den Track zuallererst von einer Rolling Stone New Voices CD kannte (auch darauf: die Single des Jahres: Funny Little Frog!), war ich einigermaßen überrascht vom Morricone-Intro, welches ihn in der Single Version einleitet. Pfeifender Präriewind, wehende Büsche über die Straße - hier wird gar nichts ausgespart! Und das alles ist nichtmal ironisch gemeint, denn der Song flüchtet sich in waschechte Clint Eastwood-Lyric. Well I shot one man on the county line. Took his dime and I blew his mind. Now I'm just sittin' here doin' time. Sun, don't you rise no more. HuiHuiHui! Die Stimme krächzt wie ein morsches Wagenrad, das Schlagzeug klöppelt wie die schwingende Saloontür. Auf der B-Seite gibt es mit Long Summer Day (hier in der Acoustic-Version - habe leider keinen Vergleich zur elektrischen) sogar noch härteren Stoff. Unser Protagonist ist plötzlich ein schuftender "Nigger" auf südstaatlichen Baumwollplantagen und sein Vater wurde Opfer des KKK (denkwürdige Textzeilen: When i was about the age of five, i watched my daddy burned alive. They cut him low and they hung him high, swaying in the breeze. But the last words i heard him say before they stole his life that day was "Forgive them lord, they've gone astray. Please take me to my ease."). Amerikanische Geschichtsbewältigung also. Und ist man gesangstechnisch von Saddle Creek Künstlern ja schon einiges gewohnt (siehe vorallem: das zweite Bright Eyes Album Fever and Mirrors), übertreffen die Two Gallants ihre Labelkollegen nochmal um ein Vielfaches und schnaufen derart um die Wette, dass es die Single einfach wirklich nur zum Ereignis macht. Ich vergebe erstmal vorsichtige 9 von 10 Punkten. Potentielle Aufwertung möglich.

Zum Vinyl gibts auf den ersten Blick mal gar nix zu sagen. Die schwarze 7" steckt im einigermaßen stabilen Pappschuber, ist jedoch nicht extra eingepackt. Erst nach dem Hören der Songs jedoch merkt man, wie die beiden Coverseiten darauf abgestimmt sind. Hört man die A-Seite blickt man auf ein verwehtes Wüstengrab. Dreht man nun auf B, kann man sich anhand des Fotos die Arbeit auf der Plantage vorstellen. Das wertet das eigentlich unspektakuläre Cover doch nochmal ganz schön auf!

Rating - 9 / 10
Vinyl-Rating - 7,5 / 10

- CGV -

Liars - They were wrong so we drowned

Liars - They were wrong so we drowned

(2004 / Mute Records / 12" Vinyl)

Da das neue Album der Liars Drums not dead ja bereits in den Startlöchern steht bzw eigentlich schon im Rennen ist und von mir für sehr gut befunden wurde, ist es an der Zeit den Vorgänger They were wrong so we drowned auseinanderzunehmen. Und wieso? Zugegeben, das Album ist nicht gerade das, was sich die Fans nach dem durchaus hör- und sogar tanzbaren They threw us all in a Trench and stuck a Monument on Top erhofft hatten. Und vielleicht wird es in Zukunft nicht gerade das Werk der Liars sein, nach welchem man im Plattenregal als erstes greift. Doch welche LP kann schon von sich behaupten, ein höchst primitives, gesticktes Bild einer Hexenverbrennung (hat noch jemand Vorschläge was das sonst darstellen soll?) auf dem Cover abgebildet zu haben? Welche LP würde sonst lediglich mit Nennung aller Songtitel längenmäßig diese Rezension füllen? Welche LP ist so..ähh...speziell?

Ja die Liars machen es uns nicht einfach. Beim Debüt They trew us all in a Trench and stuck a Monument on Top zeigten sie uns, wie wichtig Rhytmus und Bass in der Musik sind um kurz nach Veröffentlichung den Bassisten und den Drummer aus der Band zu werfen und künftig als Dreiergespann weiterzumachen. Beim aktuellen Album loten sie die Grenzen von Ambient aus und erinnern teilweise sogar an einige von Radioheads Kid A-Großtaten. Schwieriger ist es dann aber mit Album Nr 2, nämlich diesem hier. Die Legende besagt, dass sich die 3 verbliebenen Bandmitglieder zum Schreiben und Einspielen des Albums in eine einsame Waldhütte zurückzogen um eine Platte rund ums Thema Hexen zurechtzuwurschteln. Hat dann ja auch geklappt irgendwie. Die Songs wimmeln von unheimlichen Gestalten und so verrät Sänger Angus bereits im ersten Track, dem Primitiv-Drumming-König Broken Witch, "I want to be a horseman!". Man ist erstmal einigermaßen erschrocken ob der eigenwilligen Instrumentierung bestehend aus tonnenweise (oder ist es nur einer?) Analog-Synthies, einem Tanzbein-brechenden Schlagzeug und diversen verhackstückelnden Elektrosequenzen. Und dass hier jemand gar nicht so gut mit seinem Synthie umgehen kann und auch mal gern sinnlos am Knöpfchen dreht zeigt uns dann die erste Single There's always room on the broom, welches mit seinem BeeGees-Gedenk-Gesang grade nochmal die Kurve zum Beinahe-Hit kriegt. Auseinandergebrochen werden die einzelnen Songs immer wieder von Zwischenstücken über deren Stellenwert man streiten kann (wie eigentlich bei beinahe allen Zwischenstücken auf beinahe allen Alben) - in einem hört man bspw nur wie in ein Buch geschrieben wird (namentlich in "Read the book that wrote itself"...). Atmosphärisch liegt das Album stetig zwischen Sonic Youths Bad Moon Rising und einem Besuch in der Geisterbahn. Doch gibt es 2 Songs auf der Platte die einem die ganze Hexengeschichte plötzlich näher bringen als es jedes Sachbuch vermag. Bei We fenced other gardens with the bones of our own und im finalen Flow my tears the spider said fehlen eigentlich nur noch diese unheimlichen Kindergesänge die einem die Hexenhorrorfilme eigentlich erst so richtig unheimlich machen - wobei Angus die beim erstgenannten eigentlich doch ganz gut hinbekommt. Diese beiden Tracks stehen etwas im Kontrast zu dem eher trashigen Ambiente der anderen Stücke, aber am Ende ist das eigentlich unwesentlich, denn die ganze LP ist eigentlich dermaßen unhörbar, dass man manchmal mit sich ringen muss um die Nadel nicht schon zu Beginn runterzunehmen - sie dann aber doch drauflässt. Und das ist auch irgendwie das Faszinierende an dieser Platte. Die Liars hätten zum damaligen Zeitpunkt eigentlich alles veröffentlichen können. Sie hatten ein wahnsinniges erstes Album und bereits kurz danach das halbe Line-up demontiert. Man wußte einfach, dass es diese Band wirklich darauf ankommen lassen würde. Nüchtern betrachtet ist diese Platte dann auch der reinste Lärm bei der man nach einem Durchlauf dann aber doch wissen will, wie genau die das denn hingekriegt haben. Beim dritten Mal greift man dann vielleicht auch schon nebenbei zum tollen Booklet und saugt die Atmosphäre in sich auf. Und plötzlich nimmt man jeden Track als Wahnsinnssong wahr, während Unbeteiligte neben einem den Kopf schütteln. Ähnliche Reaktionen gab es dann auch auf den Konzerten der zugehörigen Tour zu sehen, auf denen die Band, gekleidet in diversen Tierkostümen, das ganze Album nochmal auf links drehte und die Zuschauer, die sich doch gerade mühevoll reingehört hatten, nochmal ratlos dastehen ließ.

They were wrong so we drowned ist eine wirklich schön aufgemachte LP. Um einem die ganze Hexenthematik näherzubringen reicht ja auch nicht einfach ein Pappschuber ohne Inhalt. Da muss es schon ein hübsches kleines Booklet mit zahlreichen Illustrationen im Märchenbuchstil sein. Im Innenteil des Klappcovers warten die Songtitel und ein besonders gruseliges Waldfoto...brr! Die LP selber kommt im unschuldigen weiß - wirklich sehr schön.

Rating - 8 / 10
Vinyl-Rating - 8 / 10

- CGV -

The Good Life - Album of the Year

The Good Life - Album of the Year

(2004 / Saddle Creek / 12" Vinyl)

Wenn ich irgendwann dazu komme, etwas über die unterbewertetsten Alben aller Zeiten zu schreiben (vielleicht sogar eine Serie!) wäre Dieses hier ein guter Anfang. Der Begriff "aller Zeiten" ist bei einer 2004 erschienen LP vielleicht etwas gewagt, doch bei aller Liebe, Detailarbeit und Aufregung die hier drin steckt im Vergleich zur sträflichen Übergehung ist er dennoch angemessen.

The Good Life ist in erster Linie Tim Kasher. Wer sich ein bischen im Saddle Creek-Universum auskennt, weiß, dass er eine Art Übervater für die ganzen anderen großartigen Bands (Bright Eyes, The Faint, Azure Ray um mal die bekanntesten zu nennen) darstellt. Legenden zufolge habe er Connor Oberst das Gitarre-spielen beigebracht, das Label mitbegründet, usw. Kasher singt sowohl bei The Good Life als auch bei Cursive, dem etwas drahtigeren, schrägeren, gitarrenlastigeren Bandzweig. Nach deren 2003er Veröffentlichung The Ugly Organ und natürlich dem Bright Eyes Meisterwerk Lifted, stand die Indie-Welt Kopf und im Jahre 2004 hörte man keinen Namen öfter im Presse Jargon als Saddle Creek. Umso sträflicher und vorallem unverständlicher, dass diese LP offenbar völlig außen vor gelassen wurde. Man hatte die Welt mit der flotten Lovers need Laywers EP auf den Super-Gau vorbereitet und nun? Nicht dass auch andere die Qualität der Band nicht erkannt hätten - der Rolling Stone gab 4 von 5 Sternen, die beiden Konzerte im Starclub waren ordentlich besucht - Vielleicht war einfach der Schatten der Bright Eyes zu düster?

Umso mehr ein Grund das Album hier mal vollends zu würdigen! Es ist keine Platte die einen sofort anspringt - eigentlich sogar ganz im Gegenteil. Die Instrumentierung ist zwar liebevoll, aber doch sehr reduziert, die Produktion aufs Nötigste beschränkt. Die Textlawinen drohen einen erstmal zu erdrücken - selbst wenn hier eigentlich gar nix verschleiert wird! Bereits das Coverartwork und die Songtitel deuten an - hier begleiten wir ein Pärchen durch ein Jahr Trennung - von April bis März - ein richtiges Konzeptalbum also (daher wohl auch der holprige Albumtitel)! Im ersten Track Album of the Year erzählt uns Kasher wie er sein Mädchen damals kotzend auf der Damentoilette kennengelernt hat- sie zeigt ein Herz und nimmt ihn mit heim ("She said she'd never seen someone so lost, i said i'd never felt so found"). Und am Ende des Songs gehen sie bereits getrennte Wege - und damit ist auch sofort schonmal der Grundtenor des Albums vorgegeben. Musikalisch sieht das ungefähr so aus: die ersten 3 Minuten bestreitet Kasher allein mit Gitarre bis der Song plötzlich von einer wahnwitzigen Bongo-Figur weggetragen wird (ungefähr da, wo es anfängt traurig zu werden...). Wer The Good Life einmal live gesehen hat wird wissen, dass der Mann ein unglaubliches Erzähltalent hat und wie man es mit den Songtexten zu halten hat. Im Folgenden ist die Platte natürlich eine Berg-und Talfahrt (emotional, nicht qualitativ!) wie es eben so ist wenn man sich trennt. Das mit der Trennung im Einvernehmen klappt doch nicht so richtig und der Protagonist will sein Mädchen zurück ("October Leaves"), das Mädchen hat schonwieder jemand anderen ("A New Friend" - übrigens mit dermaßen herzzereißender Lead-Gitarre von Ryan Fox!). Beim aus Perspektive der Frau gesungenen Inmates gibt es gefühlte 20 Seiten Lyrics die nochmal alle Dämme brechen und entgültig zeigen, dass man das Textblatt auch als Kurzroman veröffentlichen könnte. Soviele Details und zitierwürdige Zeilen gab es selten und doch wirkt es, als würde dir Kasher persönlich alles, am Boden zerstört, am Tresen erzählen. Gerade dieser Song zeigt trotz seiner instrumentalen Kargheit, wie komplex das Album angelegt ist - man muss es sich quasi erarbeiten und hat am Ende fast das Gefühl als hätte man wirklich was geschafft (jetzt nicht im negativen Sinne ;-) ). Zusammenfassend bleibt eigentlich nur zu sagen, dass Album of the Year zwar nicht ganz so von den Socken haut wie z.B. die letzten Bright Eyes-Werke, sich aber dennoch ganz und gar nicht verstecken braucht. Sperriger aber später erfüllender geht nicht. Und ich muss hier einfach nochmal darauf hinweisen, dass man The Good Life unbedingt live sehen sollte (vielleicht muss um Feuer zu fangen) wenn man die Möglichkeit hat!

Während die CD-Erstauflage mit passendem Kalender und Bonus-Disc (das komplette Album nochmal als Solo-Akustik-Aufnahme) kommt, gucken Vinyl-Fans in die Röhre. Der Minimalismus der Musik führt sich wohl auch im Artwork fort. Album of the Year gibts im normalen Pappschuber ohne bedrucktes Inner Sleeve - dafür aber mit dem dringend nötigen Textblatt. Meine Ausgabe ist nach konzertbedingtem Transport leider etwas lädiert (aber dafür signiert ;-) ), doch was ich von dem eigenwilligen Sternzeichen-Cover halten soll weiß ich sowieso auch nach 2 Jahren noch nicht. Immerhin sind auf dem Backcover nochmal alle der schön gestalteten Kalenderbilder abgebildet und reissen das ganze nochmal raus. Die Platte kommt als 180g Vinyl und klingt dementsprechend gut.

Rating - 8.5 / 10
Vinyl-Rating - 7 / 10

- CGV -

Sleater-Kinney - The Woods

Sleater-Kinney - The Woods

(2005 / Sub Pop / 2 x 12" Vinyl)

Das Jahresresümee des Rolling Stone für 2005 war ziemlicher Unsinn. Neben ein paar fragwürdigen Platzierungen in den Jahrescharts, lassen einen Listen wie die "schwulsten Momente des Jahres" schonmal die Nase rümpfen. In einer Hinsicht ist dem Ganzen aber nichtsmehr hinzuzufügen: Der Aufnahme von The Woods in die 25 besten Platten des Jahres (Platz 19!) und der Bemerkung, das Album klänge wie ein "übersteuertes Led Zeppelin-Bootleg". Höchstens noch die Feststellung eines Users auf Sonicyouth.com: "Thats how a guitar should sound like!". Mein Einwurf dazu wäre, dass The Woods eines der Alben ist, für die man seine hellhörige Mietwohnung aufgibt und sich in einer verlassenen Waldhütte einnistet um das Album endlich in gebührender Lautstärke hören zu können.

Die White Stripes haben es ja vorgemacht: die Integration von Bluesstandards in moderne Rockmusik. Ganz diesen Kurs fahren Sleater-Kinney dabei zwar nicht, doch eine gehörige Portion Sixties-Appeal lässt sich nicht verstecken. Wo die Stripes sehr reduziert und minimalistisch zu Werke gehen und das berühmte Rumpelschlagzeug eigentlich reicht um die Blues-Licks voranzutreiben, backen Sleater Kinney lieber nochmal 10cm Noise-Schnittkäse über die Sache und verstecken sich hinter verzerrten Vocal-Spuren und voll aufgedrehten Höhen. Naja gut, was heißt verstecken? Eine Sängerin die sich bereits im ersten Song, dem alles vernichtenden The Fox, mit einem mehr als beeindruckenden Vibrato in der Stimme in die Gitarrenspuren haut, versteckt sich vermutlich nicht wirklich. Überall scheppert es, eine zweite Stimme wimmert im Hintergrund, der Song bremst langsam ab. Was war das? Anlage kaputt oder was? Wieso rauscht das so?! Man möchte den Produzenten umarmen für diese Glanzleistung! Nächster Song: Wilderness. Die von mir geliebte 2-Kanal-Gitarren-Abmischung (eine Gitarre in der linken-, eine in der rechten Box - auch nachzuhören z.B. auf Sonic Youth's Dirty) macht hier erstmal deutlich wie wunderbar sich die Band die Bälle zuspielt - ok Sleater-Kinney spielen auch schon eine ganze Weile zusammen, haben unzählige (ok: es sind 7!) Alben miteinander aufgenommen - trotzdem! Ein rückwärts abgespieltes Gitarrensolo bei Whats Mine is Yours - wann gab es sowas das letzte mal seit Hendrix? Sicher, die Band bedient sich alter Tricks, hat aber einen derartigen Charme und eine Kraft, dass man ihnen selbst die plumpste Kopie nicht übelnehmen würde. Kann man auch gar nicht, denn die Songs sind dermaßen clever arrangiert, dass mir erst gar keine Kritik einfällt. Der Wechsel zwischen weiblicher Betroffenheits-Lyrik und dem unglaublichen Melodiebogen den Sängerin Carrie Brownstein daraufhin herrausschreit in Jumpers ist einer der vielen Beweise dafür. Diese ganzen Details im Sound die man erst nach etlichen Durchläufen bemerkt! Und im besinnlichen Modern Girl schließlich noch die bitterste Textzeile des letzten Jahres "my whole life looked like a picture of a sunny day!". Außerdem gibt es tonnenweise einprägsame Melodien und noch-mal-bitte!-Momente an jeder Ecke. Schade ist nur, dass Sleater-Kinney ihr größtes Versprechen leider nicht ganz einlösen: Let's call it love. Beim Blick auf die ehrfurchterregende Länge von 11min und den ersten, Großes versprechenden, Gitarrenklängen läuft man schon fast über vor Freude. Leider kann das Stück die Erwartungen aber nicht ganz erfüllen. Als 4min-Song - Grandios! Aber auf 11 Minuten gestreckt lässt es die Aufmerksamkeit das ein oder andere mal abschweifen - dafür passiert einfach nicht genug. Bloß gut, dass sie sich das geniale Night Light (selten klang ein Song so dermaßen nach seinem Titel!) als Schlusslicht aufgespart haben und nochmal alles auf den Punkt bringen, was das Album ausmacht: Leidenschaft, enorme Spielfreude und einen Sound nah an der Perfektion!

Bei der Vinyl-Aufmachung von The Woods hat man sich nicht lumpen lassen. Dickes Klappcover (Innen gibts nochmal die Bandmitglieder zu sehen) und ein bebildertes Lyric-Sheet sind bei mir ja fast schon Pflicht um über 7 Punkte zu kommen. Das wahre Highlight ist hingegen das Vinyl selber: eine dunkelrote und eine dunkelgrüne Platte mit jeweils ausgezeichneter Pressqualität gibts hier zu sehen / hören. Auf Seite 4 gibt es statt Musik eine hübsche Gravur, oder vielmehr einen Druck zu sehen - soll einen Baum-Querschnitt passend zum Albumtitel darstellen. Sehr liebevoll und auch noch sowas von günstig das Ganze (12,50€ derzeit bei flight13.de)!

Rating - 9 / 10
Vinyl-Rating - 8,5 / 10

- CGV -